Deutsche Fallschirmjäger beim Einsteigen in einen Airbus A400M.
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Ausstattung der Bundeswehr Internes Papier warnt vor Risiken bei neuem Fallschirm

Stand: 14.05.2025 05:08 Uhr

Ein internes Dokument der Bundeswehr, das NDR, WDR und SZ vorliegt, benennt gravierende technische Probleme bei einem neuen Fallschirm. Das System, das bereits im Einsatz ist, soll demnach eine Gefahr für Fallschirmspringer darstellen.

Von Anna Klühspies, NDR, und Florian Flade, WDR

Die Meldung auf der Website der Bundeswehr aus dem Frühjahr 2023 liest sich ausgesprochen positiv: Ein neuer Fallschirm sei erfolgreich getestet worden, das Verletzungsrisiko beim Springen werde damit minimiert. "Der neue, goldglänzende Fallschirm EPC-B über dem Himmel der Garnisonsgemeinde Altenstadt", ist unter einem Foto zu dem Artikel zu lesen "Unbeschadet landen die ersten Springer auf den weichen Wiesen des Absetzplatzes nördlich der Franz-Josef-Strauß Kaserne."

Ein internes Papier des Bundesamts für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw), das NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung (SZ) vorliegt, zeichnet nun aber ein völlig anderes Bild des neuen Fallschirms. Ein Oberstleutnant findet darin sehr deutliche Worte, um die bisher gesammelten Erfahrungen mit dem neuen Fallschirmsystem "Ensemble de Parachutage du Combattant" (EPC-B) zu beschreiben: Der Fallschirm stelle "im Regelsprungbetrieb dauerhaft eine potenzielle Gefahr für die körperliche Unversehrtheit der Fallschirmspringer dar".

Neuer Fallschirm mit vielen Mängeln

Besonders kritisch sei das gleichzeitige Absetzen aus beiden Seitentüren des Flugzeugs A400M. So ereigneten sich regelmäßig und deutlich häufiger als bei Sprüngen mit dem bisherigen Fallschirmsystem T-10 sowohl "Beinahe-Kappenkollisionen", als auch tatsächliche "Schirmdurchfahrten" mit sehr hohem Gefährdungspotenzial. Bei einer "Kappenkollision" stoßen zwei Fallschirmspringer mit ihren Schirmen zusammen, bei der sogenannten "Schirmdurchfahrt" gerät ein Springer zwischen die Schirmleinen eines anderen Springers. Die Risiken sind dem Papier zufolge "weder mitigierbar, noch beherrschbar" und "dauerhaft nicht hinnehmbar".

Eine solche "Kappenkollision" zweier Springer ereignete sich dem internen Bericht zufolge offenbar im März 2025 bei der Übung eines Fallschirmjägerregiments. Ein Foto davon findet sich in dem Papier. Allerdings wird nicht näher auf den Vorfall eingegangen.

Zusätzliche Kosten

Der EPC-B ist bereits seit April 2024 im Einsatz, allerdings bislang nur eingeschränkt. So darf der Fallschirm bislang nur bis zu einer Höhe von 1.000 Metern eingesetzt werden. Die Verwendungsdauer ist aktuell auf sechs Jahre oder 60 Sprünge beschränkt und damit weit entfernt von den ursprünglich angedachten mindestens 18 Jahren oder 180 Sprüngen. Das führt laut dem Bericht zu zusätzlichen Kosten: Bleibt es bei der Anforderung von 18 Jahren und 180 Sprüngen, so müssten für 11,5 Millionen Euro weitere Fallschirme nachbeschafft werden.

Das System sei aus wirtschaftlicher Sicht außerdem problematisch, da die Betriebskosten dem Papier zufolge deutlich höher sein sollen als beim Vorgänger. Hinzu komme demnach, dass ein sicherheitsrelevanter Bestandteil des Fallschirms, die Ausstoßfeder, eine zu geringe Rückstellkraft aufweise.

"Nachfolgelösung" angeraten

Konkrete Fragen zu den Problemen mit dem EPC-B beantwortete das Bundesverteidigungsministerium auf Nachfrage nicht. Die Existenz des internen Berichts wird nicht dementiert. "Wir bitten um Verständnis, dass wir uns grundsätzlich und unabhängig vom angefragten Fall nicht zu internem und eingestuftem Schriftverkehr äußern", teilte eine Sprecherin des BAAINBw mit. "Ebenso sind spezifische Informationen zu Waffensystemen oder zu Ausrüstungsanteilen aus Gründen der Militärischen Sicherheit oder zur Wahrung von vertraulichen Geschäfts- und Beschaffungsdetails eingestuft."

2025 soll das Fallschirmsystem ECP-B eigentlich vollständig einsatzbereit sein. Doch das Papier wirft die Frage auf, ob es dazu überhaupt kommen sollte. Denn der interne Bericht fällt mit dem Zitat "Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende" des ehemaligen preußischen Offiziers Ferdinand von Schill ein klares Urteil über den EPC-B und fordert "zeitnah über eine geeignete technische Nachfolgelösung zu entscheiden".

Kritik am Hersteller

Der Hersteller des besagten Fallschirmsystems ist eine deutsche Tochterfirma des französischen Unternehmens Safran. Das interne Papier des BAAINBw kritisiert Safran klar und schreibt, dass es "in vielen Bereichen deutliche Defizite bei den technischen Detailkenntnissen des eigenen Produkts" gebe. Das führe dazu, dass Probleme nicht zeitnah gelöst werden könnten.

Auf Anfrage von NDR, WDR und SZ ging Safran nicht auf Einzelheiten ein und schrieb, der interne Bericht liege ihnen nicht vor. Außerdem heißt es in der Antwort, der Fallschirm sei einem umfassenden Testprogramm durch die Bundeswehr unterzogen worden, wodurch die Lufttüchtigkeit des Fallschirms zertifiziert und somit ein sicherer Einsatz gewährleistet sei.

Darüber hinaus schreibt Safran, dass sich viele NATO-Länder für die Beschaffung von EPC-Fallschirmen entschieden hätten.

NATO-Projekt gescheitert?

Das neue Fallschirmsystem EPC-B wird seit 2021 gemeinsam mit Belgien und den Niederlanden beschafft und soll in Deutschland das alte T-10 System ersetzen, das vor mehr als 65 Jahren eingeführt wurde. Insgesamt handelt es sich um 4.336 Haupt- und 3.090 Reservefallschirme, die Kosten wurden 2021 mit rund 56 Millionen Euro veranschlagt. Käme die beschriebene Nachbeschaffung dazu, würden sich die Kosten auf insgesamt rund 67 Millionen Euro belaufen.

Ein wichtiges Argument für den EPC-B war ursprünglich die sogenannte Interoperabilität mit anderen NATO-Staaten. Das heißt, dass die militärische Ausrüstung der einzelnen Staaten miteinander vereinbar ist und eine logistische Zusammenarbeit ermöglicht. Belgien und die Niederlande beschaffen grundsätzlich den baugleichen Fallschirm, doch die Systeme unterscheiden sich laut internem Bericht in technischen Einzelheiten. Deshalb könne "die Interoperabilität (…) kein zentrales Fähigkeitskriterium für die weitere Nutzung oder zukünftige Ersatzbeschaffungen darstellen", heißt es.

Eine BAAINBw-Sprecherin teilte auf Nachfrage zum Fallschirm lediglich mit "dass andere Partnernationen diesen bereits seit geraumer Zeit erfolgreich einsetzen und ein intensiver Erfahrungsaustausch stattfindet".

Der Hersteller Safran gibt an, dass die Interoperabilität zwischen Belgien, den Niederlanden und Deutschland bereits nachgewiesen worden sei.

Fallschirme schon länger Problem bei der Bundeswehr

Die Bundeswehr hat offenbar schon länger mit Problemen bei der Fallschirmausrüstung zu kämpfen. Die Welt berichtete 2020, die Bundeswehr hätte sich Fallschirme des US-Militärs leihen müssen, um genug einsatzbereite Fallschirme für die Ausbildung neuer Springer zur Verfügung zu haben. Die Bundeswehr sprach damals gegenüber der Welt von "unvorhersehbaren Verzögerungen" bei der Bestellung von Nachschub.

Die schleppende Beschaffung neuer Fallschirme war auch Thema im Bericht der Wehrbeauftragten der Bundesregierung für das Jahr 2022. Darin hieß es, dass durch den EPC-B ein neueres und sichereres Fallschirmsystem in Sicht sei, die Beschaffung des EPC allerdings mit "erheblichen Herausforderungen und Friktionen verbunden sei" und es unverständlich sei, "dass der Austausch des T-10-Systems nicht zügiger erfolgt und es erneut zu Verzögerungen gekommen ist", so die Wehrbeauftragte der Bundesregierung damals.

Ineffizientes Beschaffungswesen

Aus Bundeswehrkreisen heißt es, die Beschaffung des neuen Fallschirmsystems mache das generelle Problem der Bundeswehr deutlich: das ineffiziente Beschaffungswesen. "Das Problem ist, dass diese Prozesse einfach so intransparent, bürokratisch und lange dauern", sagt ein Fallschirmjäger, der anonym bleiben möchte. Es gebe so viele Akteure, aber niemanden, "der auf den Tisch haut und sagt: Das ist jetzt das Wichtigste". Mit Blick auf die Milliarden aus dem Sondervermögen für die Bundeswehr sei das für alle Bereiche relevant: Viel Geld auf veraltete Prozesse zu werfen, werde das Problem nicht lösen, so der Insider.

Der interne Bericht zum Fallschirmsystem EPC-B wurde indes vom BAAINBw kurzerhand nach nur einem Tag für "gegenstandlos" erklärt. "Leider ist bei der Versendung ein Bürofehler passiert", steht in einer E-Mail an die Empfänger des Papiers im Verteidigungsministerium. Der Inhalt des Positionspapiers werde "zur fachlichen und inhaltlichen Abstimmung und Behandlung" noch einmal überarbeitet und dem Abteilungsleiter Luft vorlegt, heißt es weiter.